Stellungnahme zum Zustand und zur Gefährdung der Wälder
(erstellt zum Pressegespräch der Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 19. Oktober 1993)
Die Kommission für Ökologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1986 wiederholt mit dem Zustand und der Gefährdung der Wälder beschäftigt. Die Ergebnisse einer Bergwaldexkursion der Kommission und von zwei Rundgesprächen in einem durch Forstwissenschaftler und Biologen erweiterten Kreis sind in zwei Berichtbänden zusammengefaßt (Zustand und Gefährdung des Bergwaldes, Paul Parey, 1990; Zustand und Gefährdung der Laubwälder, Dr. Friedrich Pfeil, 1993).
In den letzten Monaten hat die Kommission die Situation des Waldes unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden, mehr als 10-jährigen Reihe der Waldzustandserhebungen in den alten Bundesländern und des neuesten Forschungsstandes erneut diskutiert.
Sie kommt, in Übereinstimmung mit der kürzlich über die Situation der Wälder veröffentlichten Studie einer Arbeitsgruppe der Internationalen Union der Forstlichen Forschungsanstalten (IUFRU), zu folgenden Ergebnissen:
1. Die Szenarien der frühen 80er Jahre, wonach die Wälder aufgrund von Schadstoffeinwirkung von „neuartigen Waldschäden erfaßt seien und innerhalb weniger Jahre absterben würden, haben sich nicht bestätigt.
Aus den Waldzustandserhebungen ergeben sich zwar bei den einzelnen Baumarten regional und zeitlich unterschiedliche Fluktuationen der Kronenzustände, aber es ist kein allgemeines Fortschreiten von den niederen zu den höheren Schadstufen und keine Erhöhung der Absterberate zu erkennen.
Jahrringmessungen ergeben in den letzten Jahrzehnten keine allgemeine Abnahme, sondern meist eine Zunahme der Jahresringbreite, d.h. der Zuwachs der meisten Bäume hat sich verbessert. Dieses traditionelle Maß der Vitalität der Bäume wird bei den Waldzustandserhebungen nicht berücksichtigt.
Die traditionellen Forstinventuren der Landesforstverwaltungen weisen auch für das Jahrzehnt 1980-1990 eine jährliche Erhöhung von Zuwachs und Holzvorrat pro Hektar um ca. 1 % aus, in Übereinstimmung mit der Tendenz der Jahresringmessungen.
Als Ursache für die Leistungssteigerung der Wälder werden verbesserte waldbauliche Maßnahmen sowie höhere Niederschläge, Temperaturen, CO2-Konzentrationen und Stickstoffeinträge diskutiert. Eine Gewichtung des Beitrages der einzelnen Faktoren ist zur Zeit noch nicht möglich.
2. Die erstmals seit 1982 durchgeführten Waldzustandserhebungen verwenden mit „Kronentransparenz“ und „Blattvergilbung“ ungeeignete Kriterien, die es nicht erlauben, die Vitalität der Bestände hinreichend zu kennzeichnen und Schadursachen zu identifizieren. Beide Schadbilder können durch sehr unterschiedliche Ursachen ausgelöst werden; sie sind auch nicht neuartig. Vielmehr ist durch historische Berichte und seit Ende des vorigen Jahrhunderts auch photographisch eindeutig nachgewiesen, daß eine vergleichende Kronentransparenz von jeher auftrat und daß viele der betroffenen Bäume auch noch nach Jahrzehnten in regeneriertem Zustand existieren.
3. Eine eindeutige räumliche und zeitliche Korrelation zwischen Waldschäden und SO2-Konzentrationen besteht nur in Gebieten, in denen „klassische“ Rauchschäden mit Zuwachseinbrüchen bis hin zum Absterben ganzer Bestände auftreten; früher zum Beispiel im Ruhrgebiet, heute noch im Erzgebirge, in den Sudeten etc.
Eine Mitwirkung von Luftschadstoffen an Kronenschäden kann auch in Regionen mit Schadstoffkonzentrationen an der Obergrenze der Anfang der 80er Jahre in den nordostbayerischen Mittelgebirgen noch herrschenden Luftverschmutzung angenommen werden, da dort ungünstige Witterungsbedingungen (zum Beispiel ungewöhnlich starke Windeinwirkung) die SO2-Wirkung verstärken. Außerdem beschleunigt der dort hohe Eintrag sauerer Schwefel- und Stickstoffverbindungen die Auswaschung von Magnesium und Calcium aus Boden und Blättern und kann so zum Magnesiummangel der Bestände beitragen.
Großräumig konnte aber für die alten Bundesländer keine generelle räumliche oder zeitliche Korrelation zwischen dem Ausmaß der jährlich registrierten Kronenzustände und der Konzentration der bekannten Luftschadstoffe nachgewiesen werden. Die derzeitige Luftverschmutzung kann daher nicht als einer der Hauptfaktoren für die auf einem weitgehend gleichbleibenden Niveau von Jahr zu Jahr stark fluktuierende Häufigkeit von unbefriedigenden Kronenzuständen angesehen werden.
4. Viele verschiedene Untersuchungsansätze sprechen dafür, daß die anthropogen erhöhten Einträge von Schwefel- und Stickstoffverbindungen die chemischen Eigenschaften der Böden und der Bodenlösung langfristig verändern. Diese oft subtilen Veränderungen sind aber schwer zu quantifizieren und von Einflüssen anderer Faktoren, wie Witterung, Vegetationsentwicklung, Nachwirkungen früherer Formen der Landnutzung etc., abzutrennen.
Abgesehen von der nächsten Umgebung extremer Emittenten, sind bisher keine Zuwachseinbußen oder Kronenschädigungen durch Deposition von Luftschadstoffen nachweisbar. Auf lange Sicht stellen aber diese Depositionen einen Risikofaktor für die Bodenfruchtbarkeit und das Grundwasser dar. Daher müssen die Luftschadstoffe sorgfältig überwacht und auf dem niedrigsten technisch möglichen und wirtschaftlich vertretbaren Maß gehalten werden.
5. Ein erheblicher Teil der durch die Waldschadenserhebungen erfaßten und damit in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückten Kronenschäden geht vermutlich auf im Prinzip bekannte und schon immer in ähnlichem Umfang auftretende Krankheiten durch Befall mit pathogenen Mikroorganismen oder Insekten, auf Mineralstoffmangel, Witterungseinflüsse oder andere ungünstige Standortbedingungen zurück. Bei der pauschalen, nur auf äußerlich sichtbare Schäden ausgerichteten Waldzustandserhebung können aber die Ursachen nicht erkannt und die Schäden nicht differenziert erfaßt werden.
Nur in wenigen Fällen konnten bei den seit langem bekannten, in epidemieartigen Schüben auftretenden und für einzelne Baumarten spezifischen Krankheiten, wie dem Ulmen- und Kastaniensterben, die Erreger nach jahrzehntelangen Untersuchungen identifiziert werden. In den meisten Fällen, z.B. bei den als Tannen-, Eichen- und Buchensterben bezeichneten Schadbildern, sind die Ursachen noch völlig ungeklärt.
Vielfach wird diskutiert, ob die Disposition der Bäume für solche Erkrankungen durch Luftschadstoffeinwirkung erhöht ist; eine solche Zunahme der Disposition konnte aber bisher nicht nachgewiesen werden. Zur Aufklärung der Ursachen der verschiedenen Krankheiten und Schäden ist eine Intensivierung der Forschung auf den Gebieten Forstpathologie, Bodenkunde und Waldernährung sowie der Mikrobiologie des Bodens notwendig.
6. Der Wildverbiß stellt besonders für die Verjüngung des Bergwaldes ein erhebliches Hindernis dar. Bei entsprechender Reduzierung des vielfach immer noch überhöhten Wildbestandes ist aber die Fähigkeit zur natürlichen Verjüngung auch im Bergwald noch weitgehend erhalten.
Anlage:
Frühere Beschreibungen großflächiger, schlechter Waldzustände
J. Claus: Das Tannensterben im sächsischen Walde.
Aus: Sudetendeutsche Forst- und Jagdzeitung, Bd. 28 (1928)
Während noch vor wenigen Jahrzehnten die Reviere Tharandt ... (folgt Aufzählung) ... recht ansehnliche Tannenbestände aufwiesen, sind heute in den genannten Revieren nur mehr einzelne Exemplare dieser Art vertreten. Und auch diese tragen zum größten Teil das Siegel des Todes auf ihren Kronen.
Die ersten Meldungen über ein massenhaftes Sterben der Tannen wurden für Sachsen von Judeich und Manteufel in dem Jahre 1875 gegeben. Das Sterben trat so rasch und plötzlich auf, daß selbst Judeich schon damals die Frage aufwarf, ob es sich noch lohnte, die Tanne weiterhin anzubauen. Da man von den benachbarten Ländern noch keine sicheren Nachrichten bekam, daß dort auch ein allgemeines Sterben der Tannen stattfand, so nahm man an, daß das Sterben von Sachsen aus seinen Ursprung nahem. Die späteren Meldungen, die um das Jahr 1886 von Böhmen, Schlesien, Bayern und Württemberg eintrafen, führten dem Gedanken, daß das Sterben sich konzentrisch von Sachsen weiterbewege, neue Nahrung zu.
Heute, im Jahre 1928, hören wir schon fast aus allen Ländern die Klage, daß ein Sterben der Tanne auf breiter Front stattfindet, und zwar gilt das besonders für die Länder des Westens, des Südens und des Nordens von Europa. Es ist eine bittere Wahrheit, daß die Weißtanne in Sachsen heute eine aussterbende Holzart ist, die in wenigen Jahrzehnten vollkommen aus unseren Wäldern verschwunden sein wird, sofern es nicht bald gelingt, ihr irgendwie zu Hilfe zu kommen.
Geheimrat Dr. K. Rebel: Waldbauliches aus Bayern.
Aus: J. C. Huber Verlag, Dießen, 1924
1. Verfall der Buchenwälder südlich von München (Band II, Seite 61):
Es war damals nicht so sehr ein Verdrängen der Buche durch die Fichte als vielmehr ein Versagen der Buche ... Warum hat die Buche so ausgelassen?
Die alten Forstkommissäre haben durch Stammanalysen festgestellt, daß nach dem 90. Jahre kein nennenswerter Zuwachs mehr angelegt wurde. Da fingen die Buchen an „giebeldürr, rotkernig, weißfaul“ zu werden und mit Riesenschritten ihrer Verwesung, in vollem Gange ihrem Ende entgegenzueilen. Schon 1810 war nicht nur allen „bey weitem der größte Teil des schlagbaren Buchenvorrates in Rückgang begriffen“, sondern „es ging auch das Jüngere vor der Zeit, ja manch solches, welches noch nicht viel über die Hälfte seiner Reifezeit erlangt hatte, wieder seinem Ende zu“. Ein gut Teil der noch jungen Buchen war damals gipfeldürr, bis zur Hälfte mit Moos überzogen, an den Ästen mit Flechten behangen. ... Aber nicht nur daß alte und junge Buchen siech wurden, auch die Verjüngung wollte nicht mehr gelingen, bereichtet die Hofoldinger Taxation 1810.
2. Schilderung der von Rebel als „Hitzekrankheit“ bezeichneten schlechten Kronenzustände in den 20er Jahren (Band II, Seite 225):
Speziell in Unterfranken ist ein Kranksein und Erkranken wahrscheinlich bei 20 % der Bestockung (Ausschließlich Eiche) und in der Pfalz bei 50 %, letzteres hauptsächlich ihres höheren Fohrenanteils halber. In ganz Bayern sind etwa 30 Tausend ha Fichten- und 60 Tausend ha Fohrenbestände des Staatswaldes typisch hitze- und heidekrank und außerdem ist die Fichten- und Fohrenbestockung einer annähernd gleich großen Fläche mehr oder weniger kränkelnd, oder doch der Krankheit stark ausgesetzt.
3. Schilderung des schlechten Zustandes der Wälder in den Höhenlagen des Fichtelgebirges (Band II, Seite 199):
Über 700 m brechen mit der Zeit alle Fohren heraus und es bleiben zurück weit unter der Bonität stehende Fichte-Tannebestockungen, die zwar dem Alter nach angehend haubar sind, tatsächlich aber halb verwüsteten Stangenorten gleichen, solches umso mehr, weil über 700 m Höhe auch die Fichten und Tannen entgipfelt werden und zwar nicht nur einmal, sondern in vielen Fällen wiederholt.